Zur Arbeitnehmerhaftung wegen Falschbetankung

ArbG Köln, Urteil vom 22.05.2002 – 9 Ca 12433/01

Betankt ein Arbeitnehmer das von ihm genutzte Firmenfahrzeug zunächst versehentlich statt mit Diesel mit 20l Superbenzin und sodann erst mit weiteren 40l Diesel und tritt sodann die Fahrt an in der Hoffnung, es werde schon gut gehen, so ist dieses Verhalten als grob fahrlässig zu beurteilen (Rn. 24).

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 770,52 € zu zahlen nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG ab 01.08.2001.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 7/11 und der Kläger zu 3/11.

3. Streitwert: 1.123,41 €. (– 2 –)

Tatbestand

1 Die Parteien streiten um Restlohn und um eine Aufrechnungsforderung.

2 Der ledige Kläger war gem. schriftlichem Arbeitsvertrag in der Zeit vom 30.05.2000 bis 19.07.2001 bei der Beklagten als Requisitenfahrer beschäftigt. Den sich aus der Abrechnung für Juli 2001 (Bl. 5 d.A.) zugunsten des Klägers ergebenden Betrag i.H. v. 2.276,– DM netto zahlte die Beklagte dem Kläger nicht, sondern teilte ihm mit Schreiben vom 24.07.2001 mit, dass sie diesen Betrag verrechne mit einem Schadenersatzanspruch i.H. v. 2.421,57 DM.

3 Der Aufrechnung lag zugrunde, dass der Kläger während der Beschäftigung bei der Beklagten ein ihm von der Beklagten zugewiesenes Diesel-Fahrzeug (Mercedes-Benz E 220 TCDI) der Beklagten mit Superbenzin statt mit Diesel betankt hatte und danach mit dem Fahrzeug weiter fuhr. Durch den fehlerhaften Betankungsvorgang und das Weiterfahren mit dem PKW mussten Motor, Einspritzanlage und Kraftstoffanlage geprüft werden, das 60-Liter-Kraftstoff-Dieselgemisch entsorgt und der Kraftstoffbehälter insgesamt entleert und mit 60 Liter Diesel neu betankt werden; alle Kraftstoffleitungen mussten gespült und der Kraftstoffhauptfilter musste erneuert werden. Ferner musste die Einspritzpumpe ausgetauscht werden. Gem. Reparaturrechnung der Daimler-Chrysler AG — Center K — vom 23.07.2001 fielen hierfür 2.421,57 DM an.

4 Der Kläger hält die Aufrechnung für nicht berechtigt. Er behauptet, versehentlich das Fahrzeug mit Superbenzin statt mit Diesel betankt zu haben. Zunächst habe er 20 Liter Superkraftstoffe getankt. Als er bemerkt habe, dass er den falschen Treibstoff getankt habe, habe er sich an den Tankwart gewandt und gefragt, ob es möglich sei, den falschen Treibstoff abzupumpen. Dieser habe ihm erklärt, kein Gerät zum Abpumpen zu besitzen. Daraufhin habe der Kläger noch 40 Liter Dieselkraftstoff getankt und sei danach mit dem Fahrzeug weitergefahren. Er sei davon ausgegangen, dass es durch die Mischung von Super und Dieselkraftstoff durchaus möglich sei, ohne Schaden das Fahrzeug zu fahren. Zunächst sei der Wagen auch gefahren.

5 Gem. Anlage zu seinem Beschäftigungsvertrag Ziff. 2 sei zudem folgendes bestimmt:

6 „Der Vertragspartner erkennt an, dass er für den Fall einer Beschädigung des Kfz. die vorgesehene bzw. vertraglich vereinbarte Selbstbeteiligungssumme zu 50 % zu tragen hat und erklärt sich mit einer Aufrechnung der bei Colonia Media im Schadensfall durch Vorleistung ggf. entstehenden Ansprüche gegen seine Gagen- bzw. Lohn- oder Gehaltsforderung ausdrücklich einverstanden.“

7 Schließlich verstoße die Einbehaltung der gesamten Vergütung gegen zu beachtende Pfändungsfreigrenzen.

8 Der Kläger beantragt,

9 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 2.276,– = 1.123,41 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG ab dem 01.08.2001 zu zahlen.

10 Die Beklagte beantragt, 11

die Klage abzuweisen.

12 Die Beklagte hält die Aufrechnung für berechtigt. Sie ist der Meinung, der Kläger habe mindestens grob fahrlässig gehandelt, als er das Fahrzeug mit dem falschen Kraftstoff getankt habe. Ihm sei bekannt gewesen, dass es sich um ein Dieselfahrzeug gehandelt habe. Sämtliche Kraftstoffschläuche an Tankstellen würden durch deutlich sichtbare und auffällige Plaketten am Einfüllstutzen klarmachen, um welche Sorte Kraftstoff es sich handele. Der Kläger müsse sich schon „blind“ einen Schlauch gegriffen und in den Tankeinfüllstutzen gefüllt haben. Die Grenze von der Fahrlässigkeit hin bis zum bedingten Vorsatz habe der Kläger mit Sicherheit überschritten, als er nach Neubefüllung des Fahrzeugs mit 40 Litern Dieselkraftstoff das Fahrzeug gefahren habe und dabei davon ausgegangen sei, durch die Mischung von Super und Dieselkraftstoff sei es durchaus möglich, ohne Schaden das Fahrzeug zu fahren. Jedem Kraftfahrzeugfahrer sei bekannt, dass Fahrzeuge grundsätzlich nur mit dem geeigneten Kraftstoff gefahren werden dürften. Dies gelte insbesondere bei Dieselfahrzeugen, in die falscher Kraftstoff eingefüllt worden sei. Wenn der Kläger sich, was bestritten werde, tatsächlich an einen Tankwart gewandt haben sollte, so sei davon auszugehen, dass jeder Tankwart einem Kunden, der in ein Dieselfahrzeug Normal- oder Superkraftstoff einfülle, rate, das Fahrzeug auf jeden Fall stehen zu lassen und die gesamte Menge Kraftstoff auszupumpen oder auspumpen zu lassen. Dass ein Tankwart im Falle des Klägers auf seine Bitte um Rat hierauf nicht hingewiesen haben sollte, sei völlig ausgeschlossen. Zudem gebe es einige Großtankstellen, an denen Dieselkraftstoff an eigenen Zapfsäulen gezapft werden könne, so dass eine Verwechslung mit anderen Kraftstoffschläuchen von daher eine Verwechslung mit anderen Kraftstoffschläuchen von daher sowieso ausscheide. Insofern müsse der Kläger angeben, an welcher Tankstelle er getankt habe.

13 Aufgrund des Verhaltens des Klägers sei die Versicherung nicht eingetreten.

14 Die in der Anlage zum Beschäftigungsvertrag angesprochene Selbstbeteiligung beziehe sich auf den Betrag, den die Versicherung in keinem Fall übernehme, sondern dem Versicherungsnehmer überlasse.

15 Pfändungsschutzvorschriften ständen der Aufrechnung nicht entgegen angesichts des vorsätzlichen Verhaltens des Klägers.

16 Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und eingereichten Unterlagen, was sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

17 1. Der Klageantrag, der eine Forderung von 2.276,– DM = 1.123,41 € ausweist, war dahingehend auszulegen, dass lediglich der in der Lohnabrechnung für Juli 2001 genannte Betrag von 2.200,76 DM — hiermit stimmt der geltend gemachte €-Betrag überein — gemeint war und der Betrag von 2.276,– DM infolge eines Schreibfehlers irrtümlich eingesetzt war.

18 2. Die Klage ist lediglich in Höhe von 1.507,– DM netto = 770,52 € netto begründet, im übrigen ist sie unbegründet.

19 Der Kläger hatte einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auszahlung der zu seinen Gunsten abgerechneten Summe von 2.200,76 DM (§ 611 BGB). Jedoch ist die Forderung des Klägers i.H. v. 693,– DM = 354,– € gem. § 389 BGB erloschen. Die Beklagte hat einen Gegenanspruch aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes (pFV) i.H. d. Reparaturbetrages zur Aufrechnung gestellt. Dieser Anspruch stand der Beklagten dem Grunde nach zu. Der Kläger hat nämlich aufgrund Tankens von jedenfalls 1/3 Benzin statt in vollem Umfang Diesel und der anschließenden Fahrt mit dem Dieselfahrzeug einen Schaden i.H. d. Aufrechnungsforderung am Fahrzeug der Beklagten schuldhaft herbeigeführt. Die Haftung eines Arbeitnehmers aus positiver Vertragsverletzung ist zwar nach den Grundsätzen der gefahrgeneigten Arbeit wegen betrieblicher Tätigkeit, je nach Verschuldensgrad, eingeschränkt. Es gilt hier ein dreistufiges Haftungsmodell, wonach der innerbetriebliche Schadensausgleich wie folgt vorzunehmen ist:

20 Keine Haftung bei leichtester Fahrlässigkeit des Arbeitnehmers

21 Anteilige Haftung bei mittlerer Fahrlässigkeit

22 In der Regel volle Haftung bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz (s. BAG vom 25.09.1997, 8 AZR 288/96 in AUR 98/123 m.w.N.).

23 Leichteste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn es sich um geringfügige und leichtentschuldbare Pflichtwidrigkeiten handelt, die jedem Arbeitnehmer unterlaufen können. Bei der mittleren Fahrlässigkeit ist der Haftungsanteil des Arbeitnehmers unter Berücksichtigung aller Umstände zu bestimmen, insbesondere auch nach der Versicherbarkeit durch den Arbeitgeber, nach der Höhe des Verdienstes, dem Vorverhalten des Arbeitnehmers und seinen sozialen Verhältnissen, so dass anteilige Haftung keineswegs automatisch hälftige Haftung bedeutet, sondern häufig erheblich weniger. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn eine besonders schwerwiegende und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, wenn nämlich der Arbeitnehmer diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die jedem eingeleuchtet hätte. Auch bei grober Fahrlässigkeit ist eine Haftungserleichterung nicht generell ausgeschlossen, sondern kommt bei einem deutlichem Missverhältnis zwischen Verdienst und Höhe des Schadens in Betracht, wenn die Existenz des Arbeitnehmers bei voller Inanspruchnahme bedroht ist (s. BAG in DB 90/65). Dabei stellt das BAG (Urteil vom 23.01.1997 in AuR 97/199) darauf ab, dass mit zunehmender Technisierung und dem damit verbundenem Umgang mit wertvollen Maschinen das Missverhältnis zwischen Verdienst und Schadensrisiko steige, was bei der Wertung zu berücksichtigen sei. Liegt der Gesamtschaden nur wenig über dem Monatsgehalt, besteht bei grob fahrlässiger Schadensverursachung für eine Haftungsbegrenzung aber keine Veranlassung (s. BAG vom 12.11.1998 — 8 AZR 221/97 — in NJW 99/966). Vorsatz setzt das Wissen und Wollen des Schadens voraus. Nicht ausreichend ist hier der vorsätzliche Verstoß gegen Weisungen, solange nicht zusätzlich Vorsatz hinsichtlich des Schädigungserfolges gegeben ist. Die Versicherbarkeit des eingetretenen Schadens hat große Bedeutung für die Bestimmung des Haftungsumfangs. Bestehende Versicherungen muss der Arbeitgeber vorrangig in Anspruch nehmen und muss sich darüber hinaus so behandeln lassen, als habe er zumutbare und übliche Versicherungen abgeschlossen, was insbesondere bei Fahrzeugschäden wirksam wird. Insoweit wird der Abschluss einer Vollkasko-Versicherung regelmäßig als zumutbar angesehen, so dass sich die anteilige Haftung des Arbeitnehmers grundsätzlich auf die übliche Selbstbeteiligung reduziert.

24 Unter Berücksichtigung vorgenannter Überlegungen ist davon auszugehen, dass der Kläger den Schaden grob fahrlässig herbeigeführt hat. Denn er hat diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen, die jedem Fahrer eines Dieselfahrzeuges eingeleuchtet hätte. Sollte dies noch nicht für das von ihm als Versehen angegebene Betanken mit Superbenzin gelten, so doch jedenfalls für das weitere Verhalten des Fahrtantritts mit dem zum Teil mit Superbenzin, zum Teil mit Dieselkraftstoff betankten Fahrzeug. Hier hätte der Kläger auf jeden Fall das Fahrzeug stehen lassen müssen oder aber den Kraftstoff abpumpen oder abpumpen lassen müssen. War dies an der Tankstelle nicht möglich, hätte er zumindest Rat einholen müssen bei der Beklagten, wie er sich nun verhalten solle. Denkt er, es werde schon gut gehen und tritt die Fahrt an, so kann dies nur als grob fahrlässig beurteilt werden.

25 Der Einwand des Klägers zu der Anlage zum Vertrag, wo von einer Selbstbeteiligungssumme die Rede ist, ist nicht einschlägig. Die dort angeführte „Selbstbeteiligungssumme“ ist nicht etwa identisch mit der tatsächlichen Schadenssumme, sondern ein Aliud und entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch der mit der Kfz.-Versicherung üblicher Weise vereinbarte Selbstbeteiligungsbetrag bei Kfz.-Schäden. All dies ist im Streitfall aber nicht einschlägig. Die Versicherung hat aufgrund der Bewertung des Verhaltens des Klägers überhaupt keine Haftung übernommen.

26 Der Kläger hat aber gem. § 394 BGB im Hinblick auf die Pfändungsschutzvorschriften nicht den vollen zur Aufrechnung gestellten Schadensbetrag gegen sich gelten zu lassen, sondern nur in Höhe von 1.507,– DM netto = 770,52 € netto. Im übrigen war der Vergütungsbetrag für Juli 2001 pfändungsfrei gem. der zum Aufrechnungszeitpunkt gültigen Tabelle zu § 850 c ZPO. Soweit die Beklagte die Beschränkung in § 394 BGB im Hinblick auf einen Vorsatz des Klägers im Streitfall für nicht einschlägig hält nach den Grundsätzen von Treu und Glauben, § 242 BGB, so kann dies im Streitfall nicht eingreifen. Zum einen bestehen bereits Bedenken, die in § 394 BGB zum Ausdruck kommende Unpfändbarkeit und den damit verbundenen Aufrechnungsschutz über die Grundsätze von Treu und Glauben überhaupt auszuschließen, da nach Sinn und Zweck der Pfändungsschutzvorschriften gem. § 850 f. ZPO dem Arbeitnehmer trotz Aufrechnung das Existenzminimum unter Beachtung seiner Unterhaltspflichten verbleiben soll, dies jedenfalls auch deshalb, damit er nicht der Allgemeinheit zur Last fällt; zudem ergeben sich Bedenken aus einem argumentum contrario aus § 393 BGB. Aber selbst wenn man der Meinung folgt, dass der Arbeitnehmer sich auf die Unpfändbarkeit und den damit verbundenen Aufrechnungsschutz nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht berufen kann, wenn die Forderung, mit der der Arbeitgeber aufrechnen will, auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Arbeitnehmers beruht, so ist im Streitfall beim Kläger kein Vorsatz festzustellen. Denn dieser setzt, wie oben bereits ausgeführt, dass Wissen und Wollen des Schadens voraus, wobei der vorsätzliche Verstoß gegen Weisungen etwa nicht ausreichend ist, solange nicht zusätzlich Vorsatz hinsichtlich des Schädigungserfolges gegeben ist. Vorsatz würde im Streitfall voraussetzen, dass der Kläger bei der Abfahrt mit dem falsch betankten Fahrzeug einen durch das fehlerhafte Betanken entstehenden Schaden zumindest billigend in Kauf nahm, er also gerade nicht gedacht hat, es werde schon gut gehen. Dass der Kläger nicht davon ausging, durch die Mischung von Super und Dieselkraftstoff sei es möglich, ohne Schaden das Fahrzeug zu fahren, kann ihm ohne weitere Anhaltspunkte aber nicht unterstellt werden.

27 Die Kostenentscheidung folgt auf § 92 ZPO; die Entscheidung über den Streitwert beruht auf §§ 3 f. ZPO, 61 Abs. 1 ArbGG.

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